Der Landhausstil: Ländliche Gemütlichkeit in einer urbanisierten Welt
Was ist Landhausstil eigentlich?
Der Landhausstil, wie er heute verstanden wird und sich seit mehr als einem Jahrzehnt ungebrochener Beliebtheit erfreut, ist eine moderne Interpretation des Bauernmöbel-Stils: Um die Wende zwischen 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich der Stil von typisch ländlichen Möbelstücken, eben „echten“ Bauernmöbeln, zu einer gesuchten Form der Inneneinrichtung – vornehmlich bei höheren Ständen. Diese neu entdeckte Leidenschaft traf mit gleich mehreren anderen Faktoren zusammen:
1. Die industrielle Massenfertigung von Möbeln verbreitete sich auch in den ländlichen Raum und sorgte dafür, dass die dort händisch und qualitativ hochwertig gefertigten, oft vererbten Bauernmöbelstücke nun als altmodisch aus den Wohnräumen verbannt wurden – vornehmlich jedoch bei sehr reichen Bauern, denn die Preise, auch für Möbel aus Massenfertigung, waren damals enorm.
2. Gleichzeitig begann aber auch eine Gegenbewegung abseits des Ländlichen und das Interesse an hochwertigen (im Gegensatz zu der als minderwertig empfundenen Massenware) Möbeln stieg vor allem bei gutbetuchten Städtern rasant an. Eine Strömung davon war das Jugendstil-Design, eine andere der Bauernmöbel-Stil.
Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alte Bauernmöbel galten infolgedessen in diversen Kreisen als schick. Und weil viele Bauern mit der neuen Einrichtung auch gleich ihre alten Möbel verkauften, trafen beide Faktoren aufeinander und führten zur ersten großen Landhaus-Blütezeit.
Moderne Möbel im Landhausstil bestehen zwar aus Massivholz, ihnen fehlt aber meist jegliche regionale Identität
Landhausstil in den 60ern
In den 1960ern und 70ern erlebten die Landhausmöbel dann einen weiteren, diesmal viel breiter gesteckten Boom: Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegsjahre hatte es auch vormals ärmeren Bauern teilweise ermöglicht, ihre Finanzen zu stellenweise großem Reichtum zu vermehren. Sehr viele Landwirte wollten diese finanzielle Potenz nun auch in ihrem Zuhause darstellen – vor allem durch den Kauf von neuen, dem Zeitgeist entsprechenden Möbeln. Was bis dato noch an „echten“ alten Bauernmöbeln vorhanden war, wurde größtenteils ungeachtet des Zustandes rigoros veräußert. Nutznießer waren Händler, die nicht selten die Einrichtungen ganzer Gehöfte zu vergleichsweise sehr niedrigen Preisen (gemessen an der hochwertigen Herstellungsweise sowie dem antiken Wert) aufkauften – und die Bauern waren froh, dass sie den vermeintlichen „alten Plunder“ sogar noch gegen etwas Geld los waren.
Kunsthandwerker nahmen sich anschließend der Stücke an und restaurierten sie – freilich oftmals unter Verwendung nicht authentischer Malereien und anderer Fauxpas, die die Authentizität der Stücke zwar nicht zerstörten, aber ihren Originalitätswert dennoch deutlich minderten. Das Interesse der Kunden war jedoch trotzdem gewaltig und viele, die mit den sehr technisch und modern orientierten Einrichtungsstilender 60er und 70er nichts anfangen konnten, hier einige Beispiele des Wirtschaftswundermuseums, richteten sich mit diesen Möbeln ein – oft auch in Unkenntnis regionaler Eigenheiten, sodass sich in solchen Wohnungen durchaus eigentlich historisch inkompatible Kombinationen wie bayerisches Bett und Schwarzwälder Schrank finden ließen.
Auch bäuerliche Originale waren teilweise mit aufwendigen, meist floralen Mustern verziert. Wesentlich öfter fügten allerdings Restaurateure diese in den 60er und 70er Jahren in historisierender Unkenntnis hinzu
Landhausstil heute
Mit dem Jahrtausendwechsel erwachte erneut das Kundeninteresse an als bodenständig und gemütlich empfundenen Rohholz-Möbeln. Zu dieser Zeit teilte sich der Markt erstmal auch auf: Originale Möbel gab es auf dem freien Markt zu diesem Zeitpunkt nur wenige und wenn, dann zu horrend hohen Preisen. Allerdings reagierte die Möbelindustrie und begann, hölzerne Möbel in Massenbauweise zu fertigen. Freilich hatten und haben diese Stücke zunächst sehr wenig mit den Originalen gemeinsam. Vor allem sticht hier der Verzicht auf jegliche regionale Identität ins Auge. Des Weiteren sind solche Landhaus-Möbel aus Massenfertigung auch qualitativ meist sehr weit von dem entfernt, was originale Stücke bieten können. Es überwiegen meist Weichhölzer, die sich günstig einkaufen und leicht bearbeiten lassen. Allerdings soll dies nicht bedeuten, dass moderner Landhausstil nur ein billiger Abklatsch wäre. Im Gegenteil: Wer bereit ist, mehr zu zahlen, kann auch heute durchaus ähnlich hochwertige Möbel bekommen.
Historische, fest installierte Öfen wie dieser Kachelofen zeugen heute noch von handwerklicher Kunst – und sind zudem von jeglichen gesetzlichen Emissionsbeschränkungen befreit
Einrichten im Landhausstil
Schaut man sich an, was viele Menschen heute unter „Landhaus“ verstehen, dann fällt vor allem auf, dass in den seltensten Fällen wirklich ein ganzes Haus oder zumindest ein Raum mit wirklich letzter Konsequenz in diesem Stil eingerichtet wird. Oftmals sind es nur einige Stücke in diesem Design inmitten ansonsten dem Zeitgeist entsprechenden Möblierungen.
Grundsätzlich spricht nichts gegen diese Vorgehensweise. Allerdings sollte sie nur bei wirklich antiken Stücken zum Einsatz kommen: Ein wenige Jahre alter Discounter-„Bauernschrank“ wirkt inmitten ebenso neuer Möbel anderer Stile schlicht fehlplatziert.
Getreu alter Bauernhäuser sollte auch in modernen Landhausstil-Räumen die Beleuchtung vor allem zweckmäßig sein
Wohnzimmer
Einer der wichtigsten Räume, die sich im Landhausstil einrichten lassen, ist das Wohnzimmer. Vor allem, weil der Markt hier sowohl an den genannten Discount-Waren als auch hochwertigeren Stücken das wohl umfangreichste Angebot (neben Schlafzimmermöbeln, siehe dort) aufweist.
- Grundsätzlich sollte der Boden aus Holzbohlen bestehen. Also kein Parkett oder Laminat sondern Bodendielen, die schwimmend auf Balken lagern. Solche Dielen können mit hochwertigen Bodenlacken für Jahrzehnte versiegelt werden und bekommen so eine unnachahmliche Patina.
- Für die Wandgestaltung bietet sich eigentlich nur eine Option: Ein sehr heller und vor allem grober Putz, der auch mit Rollputz in Eigenregie realisiert werden kann. Holzkassetten können als Blickfang dienen.
- Auch ein Ofen gehört in ein Landhausstil-Wohnzimmer. Wer Neuwertiges haben möchte, der findet am Markt zahllose historisierende Stücke, die problemlos angeschlossen werden können. Wer jedoch einen echten alten Ofen installieren will, der vor dem 1. Januar 1975 gefertigt wurde, muss unter Umständen Filter nachrüsten lassen, wie dieser Artikel erklärt. Mindestens muss jedoch der Schornsteinfeger die Emissionen messen.
- Bei den Möbeln sollte sich auf einen Stil und eine Farbe geeinigt werden. Überwiegend findet sich heute entweder geöltes Holz oder die Farbe Weiß. Auch eine Kombination ist denkbar. Wobei echte historische Stücke auch teilweise sehr farbenfroh und mit floralen Mustern bemalt waren. Wichtig ist nur, dass alles wie aus einem Guss wirkt.
- Fernsehschränke sind etwas problematisch, denn sie gab es zur Zeit der originalen Bauernmöbel schlicht noch nicht. Da moderne Flatscreens sehr flach bauen, kann eine Alternative darin bestehen, das TV-Gerät einfach auf eine entsprechende Kommode zu stellen und die Zusatzgeräte in deren Innerem unterzubringen. Wer dies nicht möchte, kann solche Fernseher auch schlicht an der Wand befestigen und die benötigten Leitungen unter Putz zu den Geräten verlegen.
- Vorhänge in alten Bauernhäusern waren vor allem schwer, dick und dekorativ. In diesem Sinne sollten auch die Gardinen einer modernen Landhaus-Einrichtung sein.
- Für die Beleuchtung sollten Leuchter zum Einsatz kommen, die mittig im Raum hängen oder aber solche, die an der Wand befestigt sind. Keinesfalls sollten dabei hochmoderne Halogen-Strahler o.Ä. Verwendung finden. Beim Design gilt ansonsten: Zweckmäßigkeit vor Prunk.
Das Ziel sollte beim Wohnzimmer, wie auch den anderen Räumen im Landhausstil, immer sein, einen ganzheitlichen Look zu kreieren. Das bedeutet, es gibt de facto nur zwei Optionen:
1. Der gesamte Raum wird so eingerichtet
2. Nur ein echt historisches Stück inmitten ansonsten moderner Möbel
Alles andere würde zu einer wenig attraktiven Melange führen, von der abzuraten ist.
Schlafzimmer
Ebenfalls leicht auf Landhaus-Stil gebracht werden kann das Schlafzimmer. Allerdings ist hier wesentlich mehr Konsequenz vonnöten: Die im vergangenen Abschnitt noch erwähnte mögliche Aufteilung ist hier kaum zu realisieren. Vor allem, weil in den meisten Schlafzimmern sehr viel weniger Möbel stehen.
Gewürfeltes Bettzeug ist bei Einrichtungen im süddeutschen Landhausstil fast Pflicht. Alternativ tut es auch einfarbig-helle Bettwäsche
- Das Bett sollte aus geöltem Holz bestehen. Soll ein altes Original zum Einsatz kommen, so kann die Suche nach heutigen Abmessungen entsprechenden Lattenrosten und Matratzen schwierig werden und endet meist in teuren Sonderanfertigungen.
- Die Wände sollten wie im Wohnzimmer in einem hellen Farbton grob verputzt werden, auch hier kann erneut Rollputz zum Einsatz kommen.
- Im Schlafzimmer sollte der Boden ebenfalls aus den genannten Echtholz-Dielen bestehen. Links und rechts des Bettes bietet es sich an, einfarbige Läufer in Erdtönen auszulegen, damit die Füße morgens nicht auf dem unter Umständen als kühl empfundenen Holz stehen müssen.
- Ans Fußende des Bettes gehört unbedingt eine schwere hölzerne Truhe. Diese kann als Farbtupfer des Raumes fungieren und die Bettwäsche aufnehmen, sollte aber vom Stil her zu den restlichen Möbeln passen.
- Falls der Möbelstil sich an süddeutschen Originalen orientiert, sollte das Bettzeug rot oder blau gewürfelt sein. Generell bieten sich auch unifarbenes Weiß sowie Erdtöne an.
- Falls ein abgetrenntes Ankleidezimmer vorhanden ist, reicht ein kleiner Kleiderschrank, der die Optik ergänzt. Wenn nicht, muss entweder ein ausreichend großer Einzelschrank oder mehrere identische kleinere Schränke gefunden werden. Hier sollten keine Stile gemischt werden.
- Die Beleuchtung sollte vor allem zweckmäßig sein und nicht übermäßig dekorativ.
Alte Originalbetten machen wegen ihrer nicht genormten Abmessungen das Finden von Matratzen und Lattenrosten von der Stange oft sehr schwer
Fazit
Gerade weil der Landhausstil momentan so beliebt ist und sich auf dem Markt abertausende Stücke finden, ist es gleichzeitig relativ leicht und dennoch schwer, ein wirklich stilistisch passendes Einrichtungs-Ensemble zusammenzustellen. Grundsätzlich gilt: Sind Originale vorhanden, sollten sich die restlichen Möbeln vom Design an diesen Stücken orientieren. Soll jedoch ausschließlich Neuware zum Einsatz kommen, sollte diese so einheitlich wie möglich sein. Nur dann kann ein wirklich passender Landhausstil geschaffen werden – der im Übrigen auch mit günstigen Möbeln vom Discounter zu realisieren ist.
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