Jugendstil-Design – der Chic der Jahrhundertwende

avgustina / December 23 2015

1) alexandria Pixabay jugendstil

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Was ist Jugendstil eigentlich?

Jugendstil entstand Ende des 19. Jahrhunderts inmitten einer Zeit, die wie keine vorherige Epoche von rasendem Fortschritt durch die Industrialisierung geprägt war. Doch mit der Größe von Fabriken wuchs auch das Elend vieler Arbeiter. Inmitten dieser Zeiten entsannen Künstler und Architekten einen Stil, der Kunst und Leben miteinander verschmelzen solle – ein jugendlicher, frischer Stil fernab vom bis dato üblichen Historismus.

Symmetrien und Ornamente

5) katja Pixabay jugendstil

Jugendstil im Innen- und Außenbereich zeichnet sich vor allem durch dekorative Elemente wie geschwungene Linien, florale Ornamente und einen hohen Grad an Symmetrie aus. Doch war der Jugendstil an sich nicht nur eine architektonische Strömung, sondern auch eine Lebenseinstellung: Durch die Verbindung von Kunst, Inneneinrichtung und Architektur sollte eine ganzheitliche Philosophie geschaffen werden, in der auch alltägliche Dinge vereinnahmt wurden. Kunst und Leben lautete die Devise. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg bezeichnete es auch als „Große Utopie“. Dahinter verbarg sich jedoch keineswegs eine homogene Szene von Kunstschaffenden. Vielmehr entstanden in England, Frankreich, Deutschland und weiteren Ländern durchaus unterschiedliche Strömungen, die aber alle unter dem Oberbegriff Jugendstil, beziehungsweise Art Nouveau firmierten.

Arts and Crafts

6) tom69green Pixabay jugendstil

Die Wurzeln des Jugendstils liegen in der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Sie entstand in den 1880ern. Federführend war hier vor allem William Morris, der mit John Ruskin und weiteren Künstlern und Architekten eine Philosophie vorantrieb: Während sich der Sozialphilosoph Ruskin auf theoretischer Ebene mit der Verbindung von Kunst, Arbeit und Gesellschaft inmitten des Industriezeitalters befasste, setzte der Maler und Architekt Morris dessen Vorstellungen in die Tat um. Allen Mitgliedern dieser Gruppe war vor allem eine Rückbesinnung weg von maschinellen Gütern wichtig: Handarbeit stand ebenso ganz oben auf der Prioritätenliste wie die Verwendung von erlesenen, optisch ansprechenden Materialien. Diese Positionierung kann vor allem als Reaktion auf die Architektur und das industrielle Produktdesign der viktorianischen Ära verstanden werden: Arts and Crafts sah deren maschinellen Elemente vor allem als seelenlos, wenig menschlich und qualitativ minderwertig an. Durch die Verwendung von hochwertigen Materialien und Rückbesinnung auf die einfache Schönheit handwerklichen Könnens sollte hier eine Gegenbewegung entstehen – der viele Künstler, Architekten und andere Kunstschaffende, die ähnliche Gedanken hegten, bald folgten. Damit legte die Arts-and-Crafts-Bewegung den Grundstein für den sich kurz darauf herauskristallisierenden Jugendstil.

Japanische Einflüsse

7) Francesco Scatena Fotolia-jugendstil

Das Interessante am Jugendstil ist die bereits angesprochene Verwendung von blumigen Ornamenten. Diese Idee stammt keineswegs aus einer westlichen Feder: Vielmehr gelangte sie über Japan, wo Blüten und andere pflanzliche Elemente schon geraume Zeit aus kulturellen Gründen die Kunst prägten nach England. Mitte der 1800er entstand in Großbritannien, ausgehend von Handelsabkommen und Ausstellungen eine vielbeachtete Strömung des Japonismus, der sich vor allem in Keramiken und Holzschnitten manifestierte.

Tiffany

8) avatrend Pixabay jugendstil

Während seiner Hochzeit um die Jahrhundertwende fand sich in ganz Europa und teilweise auch in den USA kaum ein Architekt oder Künstler, dessen Schaffen nicht zumindest in Teilen vom Jugendstil beeinflusst wurde. Ein Erbe, das auch heute noch in vielerlei Hinsicht Verwendung findet, stammt aus der Feder von Louis Tiffany: Seine 1879 gegründete „Tiffany Glass and Decorating Company“ wurde innerhalb weniger Jahre durch ihre Glaskreationen weltberühmt. Die farbenfrohen Lampen und Gläser schufen durch die Verwendung von halbtransparenten, farbigen Glas ein optisch heiteres Stilmittel, das sich scharf von den damals in vielerlei Räumen noch verwendeten imposanten Kronleuchtern abhob.

Ende des Jugendstils

Jugendstilbau mit Schweifgiebeln_3 jugendstil

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In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zeigten sich die ersten Einflüsse anderer Kunstformen im Jugendstil: Vor allem die Anfänge des Expressionismus manifestierten sich in Form einer intensiveren Kolorierung der Motive. Einen genau bestimmbaren Endpunkt des Jugendstils gibt es nicht. Jedoch lässt sich sagen, dass im Bereich der Architektur schon um 1910 die verspielten, leichten Elemente des Jugendstils durch die sachliche Nüchternheit des Bauhaus-Stils und des Reformstils allmählich abgelöst wurden – interessanterweise war letzterer ebenfalls von John Ruskins Arts-and-Crafts-Bewegung inspiriert. Im Bereich der Inneneinrichtung und des Produktdesigns überlebte Art Nouveau die stürmischen Jahre des Ersten Weltkrieges, an dessen Ende es aber in vielerlei Hinsicht vom Expressionismus vereinnahmt worden war. Noch bis Mitte der 1920er hielt sich der Jugendstil, bis er endgültig abgelöst wurde von einer neuen Form, die nicht weniger signifikant, aber deutlich unterschiedlich war: Art Déco.

Jugendstil heute

10 Jugendstil Werkshalle einer alten Zeche

Wer heute sein Heim mit diesem Chic der Jahrhundertwende verzieren möchte, kann zwar auf eine gestiegene Produktvielfalt zurückgreifen. Dennoch sollte der Jugendstil nur äußerst sparsam eingesetzt werden. Zumindest dann, wenn Raume ganz klar von anderen Stilrichtungen dominiert werden. Eine „gut gemeinte“ Tiffany-Lampe kann im schlimmsten Fall die Optik eines ganzen Raumes stören – so sehr sie auch ein prägendes und für sich schönes Element darstellt. Von Vorteil kann es hier sein, wenn der Rest des Raumes äußerst nüchtern gehalten ist – etwa durch Wände aus Sichtbeton oder in neutralem Weiß. Dann kann ein „Jugendstil-Farbtupfer“ ebenso eine Bereicherung darstellen, wie andere stilprägende Möblierungen dieser Epoche. Wenn hingegen das Haus selbst aus dieser Ära stammt, kann durchaus auch im Innenraum die Thematik fortgeführt werden. Freilich muss dazu nicht die gesamte Wohnung im Jugendstil eingerichtet werden. Aber wenn eine Jugendstil-Fassade eines städtischen Altbaus sich in einem entsprechend eingerichteten Wohnzimmer fortsetzt, kann dies durchaus als passende Hommage an dieses Zeitalter der Leichtigkeit und Symmetrie funktionieren.

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