Ich bin dann mal weg: Warum Pilgern nicht nur etwas für Gläubige ist
Pilgern als Weg zur Selbstfindung ist längst nicht nur etwas für religiöse Menschen, sondern kann generell helfen, das körperliche und seelische Befinden sowie die eigene Sicht auf die Welt nachhaltig zu verbessern.
Am 22. Mai 2006 erschien in den deutschen Buchläden ein Buch: Ich bin dann mal weg lautete sein Titel und es blieb für 100 Wochen an der Spitze der deutschen Bestsellerliste. Dabei war der Inhalt mitnichten ein spannender Thriller, sondern „nur“ ein Reisebericht: Der Entertainer Hape Kerkeling hatte sich auf den Pilgerweg ins spanische Santiago de Compostela gemacht und seine Erfahrungen zu Papier gebracht. Was das Werk so erfolgreich machte, war die schlichte Tatsache, dass hier ein „Mann aus der Mitte der Gesellschaft“ ohne größere Religiosität die Strapazen einer Pilgerfahrt auf sich nahm, sie als Weg zur Selbstfindung empfand und dem Leser beschrieb.
Pilgern: Längst nicht mehr nur ein Opfergang für tiefgläubige Menschen, sondern horizonterweiternde Grenzerfahrung für jedermann.
Und das gleiche gilt auch noch zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buchs und 15 Jahre nach Kerkelings Reise: Pilgern kann auf vielen Ebenen Universal-Heilmittel für die Volkskrankheiten zwischen Burnout und Konsumwahn sein – und das, ohne dass man auch nur ein Jota religiös sein müsste. Warum das so ist, das will der nachfolgende Artikel ausloten und zusätzlich auch Tipps dafür geben, wie und wo gepilgert werden kann, selbst wenn die Route selbst gar nichts mit Religion oder Glauben zu tun hat.
1) Pilgern, das machen doch nur Tiefgläubige, oder?
1.1 Was ist Pilgern?
Zunächst einmal fasst das Wort Pilgern ganz neutral eine religiös motivierte Reise zu Fuß oder per Transportmittel zu einem Pilgerort zusammen. Die Anlässe dafür sind vielfältig, ebenso die Ziele und nicht zuletzt auch die Religion: Im Christentum ist Pilgern ebenso bekannt wie in anderen Weltreligionen: Muslime pilgern unter anderem nach Mekka und Medina. Hindus nach Haridwar oder Kanchipuram. Und einen Buddhisten zieht es nach Lumbini oder Bodghgaya.
Seit grauer Vorzeit gehört das Pilgern zu vielen Religionen dazu und hat sich bis heute als Form der Buße und Selbstfindung erhalten.
1.1.1 Geschichte des Pilgerns
Schon in der Antike wurden einige Orte besonders verehrt, sodass Menschen dorthin wanderten, um Buße zu tun oder zu beten: Die Griechen pilgerten vornehmlich zum Tempel der Artemis, einer Gottheit der Jagd, des Waldes und Hüterin von Frauen und Kindern. Später entstand in Jerusalem der BetHaMikdasch, der Jerusalemer Tempel, und wurde zum zentralen Bezugspunkt des Judentums. Heute ist die israelische Stadt Anlaufpunkt für gleich drei Religionen: Für die Juden aus den genannten Gründen, für die Christen als Todes- und Auferstehungsort von Jesus Christus und für Muslime, weil sich dort der Felsendom befindet, der älteste Sakralbau dieser Religion. Diese und weitere Pilgerorte bilden bis in die heutige Zeit Ziele für religiöse Menschen.
1.1.1.1 Wallfahrt? Pilgern? Der Unterschied
Auch wenn beide Begriffe gerne synonym verwendet werden, existiert ein Unterschied: Pilgern ist der Oberbegriff für jede Reise zu einem heiligen Ort – um welche Religion es sich handelt, spielt dabei keine Rolle. Wallfahrten hingegen sind eine rein katholische Tradition, die ausschließlich in Gruppen, zu festen Zeiten und mit einem gemeinsamen Ziel stattfinden, sowohl geographisch als auch ideologisch (etwa gemeinsames Beten um Heilung in einer Wallfahrtskapelle).
Wallfahrten sind eine katholische Einrichtung und haben oft besondere Kirchen oder Kapellen zum Ziel.
1.1.2 Gründe für Pilgerwanderungen und Wallfahrten
Der Hauptgrund für Pilgerreisen ist natürlich meist religiöser Natur: Durch die Strapazen der Reise soll Buße getan werden. Der Prozess des langen Wanderns soll eine spirituelle Erleuchtung ermöglichen. Des Weiteren geht es bei Pilgerfahrten aus Glaubensgründen auch darum, seine Gläubigkeit an sich zu beweisen und zu stärken. Im Islam etwa gilt das mindestens einmalige Absolvieren der Haddsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, als verpflichtend für jeden gläubigen Muslim.
1.2 Wo wird gepilgert?
1.2.1 Jakobsweg
Der Jakobsweg ist eine Sammlung unterschiedlicher Pilgerwege, die in ganz Europa starten und im spanischen Santiago de Compostela am Grab des Apostels Jakobus enden. Sein eigentlicher Verlauf (und was im allgemeinen Sprachgebrauch heute als Jakobsweg gilt), der Camino Francés, startet je nach Startpunkt in Somportoder Roncesvalles und führt über eine Distanz von rund 800 Kilometern zum Ziel.
Eine stilisierte Jakobsmuschel auf Schildern oder in den Bodenbelag eingelassen, symbolisiert in ganz Europa, dass eine Strecke zum Jakobsweg gehört.
1.2.1.1 Der Entertainer unterwegs: Hape Kerkeling und sein Erfolgsroman
Für den deutschen Entertainer begann der Jakobsweg nach einem Hörsturz und der Entfernung seiner Gallenblase. Kerkeling hatte sich mit Shirley MacLaines Buch „Der Jakobsweg: Eine spirituelle Reise“ befasst und beschloss, diesen Weg zur Stressreduktion zu gehen. Während der Reise erkannte er sein eigenes Ich und seinen Glauben („Buddhist mit christlichem Überbau“) von einer neuen Seite – und beschreibt daneben die verschiedenen Menschen, die mit ihm auf der Route wanderten. Das Buch war so erfolgreich, dass es mittlerweile verfilmt wurde – allerdings auch nicht frei von Kritiken, wie die „Süddeutsche“ hinterfragt.
1.2.2 Lourdes
Die südfranzösische Stadt, genauer gesagt eine dortige Quelle, wurde nach einer Reihe von Marienerscheinungen im Jahr 1858 zum Wallfahrtsort. Hier existiert per Definition weniger ein Wanderweg, sondern es reisen jährlich zu festen Zeiten Gruppen aus unterschiedlichen Ländern an. Das Bad im Quellwasser der örtlichen Grotte von Massabielle ist für Gläubige ein Weg, um von Krankheiten geheilt zu werden.
1.2.3 Einsiedeln
Der schweizerische Ort liegt an einer der Strecken des Jakobswegs und seine Kapelle St. Meinrad diente in früheren Zeiten als Sammelpunkt für Pilger, die von unterschiedlichen Startpunkten aus nach Santiago de Compostela wollten. Heute lockt vor allem ein Gnadenbild, die Maria Einsiedeln, im örtlichen Kloster die Pilger an – die Route dorthin entspricht der des alten Jakobswegs.
1.2.4 Jerusalem
Wie bereits erwähnt, ist die israelische Stadt Pilgerstätte für gleich drei Glaubensgemeinschaften. Für Christen ist dabei vor allem das Heilige Grab von Bedeutung. Der Pilgerweg startet prinzipiell ebenfalls in Santiago de Compostela und führt durch Frankreich, die Schweiz, Österreich, durch den Balkan und die Türkei bis nach Jerusalem. Im Gegensatz zum Jakobsweg führen hier zwar keine dutzenden Routen zum Ziel, dafür kann aber prinzipiell an jedem Punkt des Weges gestartet werden: Wer in Deutschland wohnt, beginnt eben hier seine Pilgerfahrt usw.
Jerusalem ist für gleich drei Weltreligionen eine wichtige Pilgerstätte: Christentum, Islam und Judentum.
2) Ich bin nicht gläubig, warum sollte ich pilgern?
Wie bereits angemerkt, ist Glauben, Religiosität oder Spiritualität keine Voraussetzung zum Pilgern. Das Laufen an sich ist es, das den tieferen Sinn einer Pilgerreise ausmacht:
2.1 Langes Laufen ist meditativ
2.1.1 Warum Wandern gut für die Seele ist
Alleine in einer weiten Landschaft, unter sich nur die Strecke, in weiter Entfernung das Ziel und sonst nichts. Wandern im Pilgerstil zwingt einen geradezu, Alltägliches zu vergessen. Es zählen nur der nächste Schritt und das eigene Ich. Das macht den Blick frei für das Wesentliche und befreit die Seele: Keine Termine, keine Meetings, kein Streit– das Magazin Geo nennt es „Flucht vor der Reizüberflutung“. Diese Flucht wiederum schafft buchstäblich „Raum im Kopf“. Der Körper beginnt, sich angesichts der Strapazen zu wandeln. Die Probleme werden auf das Laufen konzentriert, das Gehirn muss sich mit nichts anderem befassen und kann entspannen.
Langes Wandern oder Laufen versetzt den Mensch in eine Art Rauschzustand und reduziert sämtlichen Alltagsstress.
2.1.1.1 Laufpsychologie
Diesen Effekt macht sich das hier beschriebene Meditative Laufen zunutze, welches auf der psychologischen Ebene eng mit dem Pilgern verwandt ist. Im Prinzip geht es darum, loszulassen – in den eigenen Körper hineinzuhorchen und im Einklang mit der Natur einfach zu existieren. Je nach Anstrengung berichteten nicht nur Marathonläufer von einem geradezu rauschartigen Zustand nicht unähnlich dem des Meditierens, in das Körper und Geist auf so langen Routen versetzt werden.
2.1.2 Was die Natur bei Gestressten bewirkt
Vor allem wirkt sich das Laufen in der Einsamkeit eines abgelegenen Landstrichs auch auf den Stressfaktor aus: Hier herrscht keinerleiDruck. Der Blick kann über die einsame Landschaft wandern, wo er normalerweise hektische, überfüllte Innenstädte gewohnt ist. Die totale Abwesenheit von jeglichem zivilisatorischen Stressfaktor sorgt dafür, dass Pilger sich automatisch entspannen – tiefenentspannt würde der Volksmund es nennen. Das konnten auch Wissenschaftler der Universität Washington im Test rekonstruieren.
2.1.3 Laufen bringt andere Sichtweisen
Die Gesamtheit dieser Eindrücke – Anstrengung, Stressfreiheit, Natur, die Beschäftigung mit sich selbst – sorgt dafür, dass Pilger eine andere Sicht auf die Dinge bekommen:
2.1.3.1 Mehr als „Gehen“ und „Natur genießen“
Wenn sich die Wünsche soweit reduziert haben, dass ein Herbergsbett und ein Teller voll Suppe vollkommen als Belohnung für den Tag ausreichen, dann bekommt Konsum und all das, was unsere moderne Welt sonst noch bestimmt, einen anderen Touch. Pilger berichten regelmäßig nach dem Ende ihrer Reise, dass ihnen die alltäglichen Dinge nicht mehr so wichtig vorkommen, dass sie lernten, kleine Dinge zu genießen. Das kann sich in jeder Lebenslage auszahlen, denn durch das Wandern lernt der Mensch automatisch, auf alles Überflüssige zu verzichten.
Wer tagelang fernab der Zivilisation läuft, bei dem reduzieren sich die Gedanken und Probleme darauf, was auf dem Weg vor ihm liegt. Darüber hinaus lernt ein Mensch so, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
2.1.3.2 Stichwort Entschleunigung
Vor allem ist Pilgern auch eine Möglichkeit der „Wiederentdeckung der Langsamkeit“: Der 800 Kilometer lange Jakobsweg etwa ließe sich per Auto innerhalb eines Tages absolvieren – was seinen Sinn völlig konterkarieren würde. Hintergrund des Pilgerns ist,vor allem in der heutigen Zeit, herauszufinden, wie entschleunigend es sein kann, wenn das Tagesziel nur 20 Kilometer entfernt liegt, anstatt 200 oder 400. Gleichzeitig macht diese Langsamkeit es auch erst möglich, das Pilgern und die Natur mit allen Sinnen zu erfassen – ohne abschirmende Autoscheiben.
Beim Pilgern müssen alle weltlichen Dinge in einen Rucksack passen – das führt automatisch dazu, dass ein Pilger mit sehr viel weniger auskommen kann und muss.
2.1.3.3 Pilgern und selbstauferlegte Armut
Ein weiterer wichtiger Faktor einer Pilgerreise ist die Abwesenheit von weltlichen Dingen: Der Pilger transportiert nur das, was er einen Tag lang auf seinen Schultern tragen kann – bestenfalls etwas Wechselwäsche und Wasser, alles in allem rund zehn Kilo schwer. Handys und alle anderen Dinge, die moderne Menschen als unabdingbar ansehen, werden als das entlarvt, was sie strenggenommen sind: Ballast. Für gläubige Pilger ist diese Form der Armut religiöse Pflicht, und wer die Strecke aus nichtreligiösen Gründen absolviert, lernt ebenfalls, sich auch auf materieller Ebene aufs Wesentliche zu konzentrieren. Philosophisch könnte der Mensch als Salzwasser beschrieben werden: Durch das Pilgern wird alles Unwesentliche abgekocht und am Ende bleibt nur der Inhalt – das Salz – übrig.
2.2 Es muss kein Pilgerweg sein
Das Beste an all diesen Faktoren ist die Tatsache, dass es zum Erlangen einer solchen inneren Ruhe und Freiheit noch nicht einmal ein dedizierter Pilgerweg sein muss.
2.2.1 Warum sich auch andere Wanderrouten eignen
Denn prinzipiell ist jede Wanderroute, die sich über mehrere Tage erstreckt, bestens dazu geeignet, die Psychologie des Pilgerns zu erleben: Jede Strecke, auf der sich abends ein Schlafplatz findet, ist ausreichend. Dabei gilt natürlich der Grundsatz: Je naturnäher und abgeschiedener, desto besser. Pilgerwege sind darauf ausgelegt, den Pilgern in bestimmten Abständen Rastplätze zu offerieren. Aber wer möchte, kann prinzipiell auch quer über die europäischen oder andere Wanderrouten laufen – notfalls eben mit einem Schlafsack auf dem Rücken. Die Erfahrung ist in jedem Fall die Gleiche.
Wer ohne religiösen Hintergrund pilgern will, kann quasi jede Route zum Pilgerweg machen: Jede lange Route kann die Effekte der Laufpsychologie nutzbar machen.
2.2.2 Liste von anderen Wanderstrecken
2.2.2.1 Europa
In Europa bieten sich vor allem die Europäischen Fernwanderwege an, die mehrere tausend Kilometer Länge umfassen:
- E5 von Pointe du Raz (Bretagne) bis Venedig, 3500 Kilometer
- E7 von den Kanaren über Lissabon bis zur Ukraine, 4330 Kilometer
- E8 von Dursey Head (Irland) über Deutschland bis Istanbul, 4390 Kilometer
- E2 Galway (Irland) bis Nizza, 4850 Kilometer
- E1 Nordkap (Nord-Norwegen) bis Sizilien, 4900 Kilometer
- E9 Kap St. Vincent (Portugal) bis Estland, 5000 Kilometer
- E6 Kilpisjärvi (Finnland) bis zu den Dardanellen (Türkei), 5200 Kilometer
- E3 Istanbul bis Kap St. Vincent (Portugal), 6950 Kilometer
- E4 Kap St. Vincent (Portugal) bis Zypern, 10450 Kilometer
Alle europäischen Wanderwege sind natürlich auch nur zum Teil begehbar, niemand muss die komplette Route ablaufen, um den Effekt einer Pilgerreise zu erfahren.
2.2.2.2 Nordamerika
- Appalachian Trail (USA) Mount Katahdin (Maine) bis Springer Mountain (Georgia), 3500 Kilometer
- Pacific Crest Rail von Manning Park (Kanada) bis Campo (Karlifornien), 4286 Kilometer
- Continental Divide Trail (USA) von Glacier National Park (Montana) bis New Mexico, 5000 Kilometer
- Trans Canada Trail quer durch Kanada von Ost- bis Westküste, 18078 Kilometer
Auch bei den Trails auf dem nordamerikanischen Kontinent gilt: Auch sie müssen nicht zur Gänze erlaufen werden. Wer auf ein ähnliches Klima wie in Mitteleuropa und ein besonders monumentales Naturerlebnis Wert legt, dem sei der IcefieldsParkwayim kanadischen Alberta empfohlen. Er verbindet laut dieser Quelle auf 232 Kilometern Länge die Nationalparks Banff und Jasper.
2.2.2.3 Asien
- Everest Trek (Nepal) von Lukla bis Lukla (Rundwanderung), 150 Kilometer
- Route 1 Trail (Vietnam) von Cá Mau bis Lang Son (Chinesische Grenze), 2300 Kilometer
- Mongolian Trail von Ulaanbaatar (Mongolei) bis Ulan-Ude (Russland), 590 Kilometer
Aufgrund der gewaltigen Größe des asiatischen Kontinents existieren hier weniger traditionelle, sprich staatlich gepflegte Wanderrouten wie in Europa und Nordamerika, sondern eher Strecken, die sich über Jahrzehnte bei Backpackern eingebürgert haben und keinen offiziellen Status genießen, beispielsweise der Everest Trek.
2.3 Weder Glauben noch Spiritualität sind Voraussetzung
Wer an dieser Stelle den Hintergrund des langen Wanderns als Quell der Entschleunigung und innerer Ruhe verstanden hat, der begreift auch, dass dafür keine Religion erforderlich ist. Der Glaube war in früheren Zeiten oft die einzige Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Heute kann jeder in seinem Urlaub die Vorzüge genießen.
2.3.1 Pilgern als Grenzerfahrung
Zur psychologischen Ebene gehört auch die Tatsache, dass es sich beim Pilgern für die meisten Menschen um eine extreme Erfahrung handelt: Wer wandert zuhause täglich 20 oder mehr Kilometer – und das noch über einen längeren Zeitraum? Viele Menschen in Bürojobs sind ja schon froh, wenn sie am Tag auf einen Kilometer kommen. In diesem Sinne wird die Anstrengung des Pilgerns zu einer außergewöhnlichen Grenzerfahrung, bei der der Körper in jeglicher Hinsicht aus dem Alltag herausgerissen wird.
2.3.2 Pilgern als gemeinschaftliche Erfahrung
Auf dedizierten Pilgerwegen wird ein Wanderer meist Gesellschaft haben und auch auf einer anderen Route kann es sich lohnen, mit anderen zu gehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Personen sich vorher schon kennen oder sich erst vor Ort kennenlernen: Wichtig ist, dass jeder Mensch die Strapazen einer Pilgerreise anders erlebt. Im Austausch dieser Erfahrungen kann weiterer Erkenntnisgewinn liegen – zudem stärkt die Gewissheit, Schwieriges gemeinsam gemeistert zu haben, nicht nur den Teamgeist, sondern ermöglicht es ein solches Teamwork auch oftmals erst, sich für die letzten Kilometer des Tages nochmals zu motivieren.
Je weiter und beschwerlicher die selbstgewählte Pilgerroute, desto größer werden die Effekte dieser Grenzerfahrung – hinterher haben die meisten Pilger eine gänzlich andere Sichtweise auf alle Dinge des Alltags.
3) Okay, ich will es versuchen, was jetzt?
Bei wem nun das Interesse geweckt ist, der sollte tunlichst nicht einfach nur zu seinem Chef gehen und Urlaub beantragen: Eine Pilgerreise ist wie angemerkt ein äußerst anstrengender Prozess, der nicht selten mehrere Wochen oder gar Monate der umfassenden Vorbereitung benötigt. Und zudem auch einige Grundregeln, die auf der Strecke selbst eingehalten werden sollen – ganz gleich ob es der Jakobsweg oder eine tagelange Wanderung quer durch Kanada ist.
3.1 Vor der Abreise
3.1.1 Routenfindung
Wie erwähnt ist die Route selbst weniger von Bedeutung. Was allerdings wichtig ist: Sie sollte klimatisch und vom Gelände zu den eigenen Fähigkeiten passen – zumindest denen, die sich innerhalb weniger Monate im Training sicher erzielen lassen. Natürlich könnte eine Winterwanderung durch die Rocky Mountains Geist und Seele befreien, aber wer zuhause bestenfalls zu Fuß zum Bäcker geht, sollte mit einer einfacheren Route beginnen. Vor allem die echten Pilgerrouten in Europa haben dabei nicht nur einen klimatischen Vorteil, sondern auch, dass sie an die Fähigkeiten unterschiedlichster Wanderer angepasst und zudem bestens ausgeschildert sind. Ist eine Route gefunden, sollte auch ausgerechnet werden, wie weit täglich marschiert werden muss – dabei sollten keine zu engen Ziele gesetzt werden.
Bei der Vorbereitung auf eine Pilgerwanderung gilt: Die täglichen Strecken langsam bis zur Länge einer späteren Tagesetappe steigern. Dabei auch bedenken, dass Gelände und Klima in etwa dem späteren Pilgerweg entsprechen sollten.
3.1.2 Körperliche Vorbereitung
Unabdingbar ist es, den Körper durch regelmäßige und sich langsam steigernde Strecken auf die künftige Belastung vorzubereiten. Dabei kann mit geringen Distanzen von drei Kilometern gestartet werden, die sich über Wochen bis zur ausgerechneten Tagesetappe der Pilgerreise steigern. Zusätzlich sollte auch schon mit dem entsprechenden Rucksack und dem zu erwartenden Gewicht trainiert werden. Mehr über Training und Ausrüstung lesen Sie hier.
3.2 Während des Pilgerns
3.2.1 Pflege Seele und Körper
Zwar dient eine Pilgerreise in erster Linie der Reinigung des eigenen Ichs, aber der Körper als Objekt, welches die Hauptlast dabei trägt, sollte nicht vernachlässigt werden: Es sollte darauf geachtet werden, bei jedem Halt die Füße zu überprüfen und die Socken zu wechseln – das verhindert Blasen durch unvermeidlichen Fußschweiß. Außerdem sollten jede Menge Blasenpflaster und ein Erste-Hilfe-Set im Rucksack stecken. Und abends sollte den Muskeln und Gelenken genügend Zeit zum Entspannen gegeben werden: Nicht nur deshalb sollten die Tagesetappen eher kurz gehalten werden. Beim Pilgern geht es nicht um Marschleistung, sondern Erkenntnis.
Hochwertige und bequeme Wanderschuhe sind eines der wenigen materiellen Dinge, auf die ein Pilger achten sollte – neben einer ausreichenden und leicht zu transportierenden Wasserzufuhr.
3.2.2 Viele Schritte, viele Schlucke
Vollkommen gleich, ob die Wanderung in kalten oder warmen Gebieten stattfindet: Wichtig ist es, mehrere Liter Wasser mit sich zu führen und sie auch tatsächlich zu trinken – auf vorbereiteten Pilgerwegen wie dem Jakobsweg reichen dafür zwei Liter – wer abseits pilgert, benötigt jedoch viel mehr. In wirklich einsamen Gebieten gehört dazu auch ein Vorrat an Wasserreinigungstabletten oder portablen Kleinstfiltern, damit die Vorräte an jedem Wasserlauf aufgefüllt werden können. Achtung: Zu wenig Flüssigkeit kann lebensbedrohlich sein! Hier können Pilger ausnahmsweise – neben bequemen Wanderschuhen – auf moderne Technik in Form der Trinkblase zurückgreifen: Diese wiegt dank moderner Kunststoffe kaum mehr als der Inhalt selbst, steckt im Rucksack und ermöglicht das Trinken während des Gehens über einen Schlauch.
4) Zusammenfassung und Fazit: Pilgern kann jedem helfen, seinen inneren Kompass neu einzuordnen
Die Essenz des Pilgerns als Grenzerfahrung ist, dass der Weg das Ziel darstellt. Diesen Erkenntnisgewinn auf geistiger und körperlicher Ebene kann auch von jedem nichtreligiösen Menschen genutzt werden, um seine Seele neu zu justieren und den Stress des Alltags radikal zu reduzieren.
Die Lehre dieses Artikels ist es, dass eine Langstrecken-Wanderung im Stil einer Pilgerreise sich grundsätzlich für jeden Menschen eignet. Selbst wer auf dem Land lebt und mit städtischem Stress selten bis nie zu tun hat, kann in unserer hektischen Welt irgendwann an einen Punkt gelangen, an dem „alles zu viel“ wird. Eine Pilgerwanderung schafft es durch ihre Extreme wie kaum eine andere Entspannungsform, Körper, Psyche und vor allem der Seele nicht nur zu neuen Erkenntnissen, sondern vor allem zu einer anderen Sichtweise zu verhelfen. Wer heute mit vielen Überstunden, Dauerstress und vielleicht sogar Terminen auf der Couch eines Psychologen zu tun hat, sollte sich überlegen, ob er seinen nächsten Urlaub wieder am Strand verbringt, oder nicht doch lieber auf den endlosen Weiten eines einsamen Wanderwegs wirkliche Entspannung finden möchte.
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